Zur Installation von Mats Bergquist in der Kunst-Station Sankt Peter Köln
Mats Bergquist ist ein zurückgezogen arbeitender Künstler. Und doch ist er ein Kosmopolit im besten Sinn des Wortes. Geboren 1960 in Stockholm als Sohn einer schwedischen Diplomatenfamilie, wuchs er in Russland auf, wo er auch die Schule besuchte. Heute lebt und arbeitet er im italienischen Bassano del Grappa, nördlich von Vicenza, sowie im schwedischen Nyköping, südwestlich von Stockholm. Beide Perspektiven kommen in seiner Kunst zum Tragen, das meditative, kontemplative Arbeiten und die Offenheit und das Interesse an den kulturellen Einflüssen seiner Heimatländer. Leben und Arbeit, Erfahrung und künstlerischer Ausdruck müssen kohärent sein, sagt Bergquist. Nur so strahlt die Kunst eine Aufrichtigkeit aus, die von den Betrachtenden erkannt werden kann.
Seit Jahren wünscht sich Mats Bergquist, seine Arbeiten in Sankt Peter zeigen zu können. Das Zusammenspiel von historischem Raum, zeitgenössischer Gestaltung und gefeierter Liturgie haben ihn immer wieder angezogen. So oft er von Schweden mit dem Auto nach Italien unterwegs ist oder umgekehrt, macht er Station in Köln. Für die Ausstellung auf der Empore der spätgotischen Pfarrkirche schuf er nun eine Serie von Arbeiten, die einen spannungsvollen Dialog mit der Architektur und Raumwirkung eingehen. Dabei steht ihre auratische Ausstrahlung nicht in Konkurrenz zu der des Kirchenraums, vielmehr sind hier faszinierende Parallelen auszumachen.
Mats Bergquists Arbeiten drücken eine Vergänglichkeit aus, ohne selbst beschädigt zu sein, sie erinnern an menschliche Spuren, obwohl sie unberührt sind. Der Künstler möchte darstellen, dass menschliche Devotion und religiöse Andacht physische Spuren hinterlassen an den Orten, wo Menschen aus diesem Grund zusammenkommen. Damit erinnert er an bekannte Orte wie Jerusalem, Rom oder Santiago, seit Jahrhunderten Ziele christlicher Wallfahrten, deren steinerne Monumente Abnutzungen und Abreibungen durch das Betreten oder Berühren der Millionen von Gläubigen aufweisen. Abdrücke von Gebeten, wie es der Künstler ausdrückt.
Neben diesen Spuren auf den Böden zahlreicher Heiligtümer auf der ganzen Welt sind ebensolche tatsächlich auch an heiligen Bildern bekannt. Im Gegensatz zur Ostkirche, in der eine deutlich größere Kontinuität zwischen dem heidnischen Bildgebrauch und dem christlichen festzustellen ist und wo in der platonischen Tradition im Abbild das Urbild als gegenwärtig angenommen wurde, spielten in der westlichen Kirche heilige Bilder eine untergeordnete Rolle und dienten eher der religiösen Unterweisung. Doch auch im Westen führte die übergroße Verehrung zu Abrieben auf Statuen und Bildern. Die wohl bekanntesten Bilder sind die Statue des Apostels Petrus in der Basilika San Pietro in Rom aus dem späten 13. Jahrhundert, deren rechter Fuß völlig abgeflacht ist, sowie die des Apostels Jakobus im Pórtico de la Gloria in Santiago de Compostella, in deren Säule sich Millionen von Pilgern mit ihrer Hand „eingegraben“ haben. Diese Verehrung geht im Grunde weit über die platonische Vorstellung hinaus, denn hier geschieht körperliche Berührung. Hier vollzieht sich eine Materialisierung des Spirituellen und zugleich die personale Aneignung des im Bild Gegenwärtigen.
Mats Bergquist zitiert in diesem Kontext ein Gedicht aus seiner schwedischen Heimat, „Das schwarze Bild“ aus dem Dīwān über den Fürsten Emigión von Gunnar Ekelöf. Der Dichter verweist auf die Begegnung mit einer verdunkelten Ikone im Inneren einer alten byzantinischen Kapelle. Hier erreicht das Zusammenkommen von Begehren und Vernichten den am stärksten verdichteten Punkt. Die Formulierung „zerküsst“ deutet darauf hin, wie alles Sichtbare auf der Ikone im Laufe der Zeit durch die Berührung der Lippen abgetragen worden ist. Sie wird ein ums andere Mal mit einer beschwörenden, ekstatischen Sprachbewegung wiederholt. „Alles was wir wünschten, zerküsst. Alles was wir nicht wünschten, geküsst und zerküsst. Alles dem wir entrannen, zerküsst. Alles was wir wünschen, wieder und wieder geküsst.“ Diese verehrenden wie zerstörenden Lippen verwandeln sich so zu denen des Gedichts selbst.
Dieses Gedicht im Ohr betrachten wir die Werke von Mats Bergquist. Er selbst bezeichnet sich als Maler. Dabei sind seine Bilder im Grunde genommen plastische Objekte, die in einem langwierigen und aufwändiger Verfahren entstehen. Der Künstler bespannt die Bildträger aus Linden- oder Birkenholz mit einem rauen Leinengewebe, tränkt dieses mit Leim und bedeckt diesen mit Schichten von Kalk. Akribisch schleift er diese Schichten ab und streicht sie erneut auf. Erst dann folgen Schichten mineralhaltiger Farbpigmente und flüssigen Wachses. Auch diese werden geschliffen und poliert, bis die Bilder ihre undurchsichtige und glänzende Beschaffenheit erlangen. Bergquist bedient sich hier des über 1000 Jahre alten Verfahrens der Ikonenmalerei und greift damit auf die Tradition zurück, das Heilige abzubilden und die Sakralität durchscheinen zu lassen.
Natürlich sind diese Bilder keine Ikonen im engeren Sinn, sie stellen nichts Religiöses dar, allein ihre Farbigkeit, ihr Weiß und ihr Schwarz, übt auf die Betrachterinnen und Betrachter eine faszinierende Wirkung aus. Und doch ruft ihre rauchige Eintrübung die abgenutzte, berührte und beräucherte Oberfläche heiliger Bilder in Erinnerung. Und natürlich liegt, zumal bei den quadratischen Bildern, ein Verweis auf Kasimir Malewitsch nahe, dessen suprematistische Arbeiten Bergquist in der Schule kennenlernte. Die uns umgebende Realität, die wir dreidimensional wahrnehmen, verwandelte Malewitsch auf der Leinwand in zweidimensionale Bildzeichen ohne jeden gegenständlichen Bezug. In Malewitschs „suprematistischem Alphabeth“ werden Schwarz und Rot als Höhepunkte der Spannungen in Farbe und Form interpretiert, Weiß als höchste Spannung der Farbe überhaupt. Das schwarze, das rote und das weiße Quadrat stellten für den Künstler den maximalen Ausdruck des überpersönlichen Wesens der Kunst dar. Dieses Überpersönliche sah Malewitsch auch in den Ikonen verwirklicht, die er akribisch studierte und suprematistisch deutete.
Jedes Bild von Mats Bergquis ist ein eigenes Werk, das für sich stehen kann. Zur vollen Entfaltung gelangt es jedoch im Zusammenspiel mit allen anderen. So entstehen ganze Landschaften sich erhebender Oberflächen. Der Künstler schafft mit den vier in Sankt Peter gezeigten Werken einen besonderen Raum der Stille. Auf der südlichen Empore legt er eine aus 46 Einzelbildern zusammengefügte zwölf Meter lange Bodenarbeit aus. Wortmalerisch nennt er diese „Via Lattea“, Milchstraße. In ihren weißen Quadraten und Rechtecken spiegelt sich das Licht des sakralen Raums auf eindrucksvolle Weise. Daneben erhebt sich ein massiver weißer Bogen, „Architrave“, bestehend aus drei ein Meter langen Quadern. In seiner Massivität geht er einen spannungsvollen Dialog mit den Kreuzrippengewölben der Kirche ein. Der Bogen und der befestigte Weg, beides urtypische Zeugnisse menschlicher Kultur, stehen als abstrakte Architekturformen im Raum und wirken auf uns Betrachtenden in beredter Stille.
Auf die Außenwand des romanischen Kirchturms aus dem 11. Jahrhundert befestigte Mats Bergquist drei rechteckige weiße Bilder, deren Oberfläche sich kugelförmig nach vorn wölbt. „Venus“ nennt der Künstler diese Bilder. Auch hier ergeben sich reizvolle Spiegelungen des von links einfallenden Tageslichts. Wer würde hier nicht an die Erscheinung schwangerer Frauen denken? Die Benennung der Bilder nach der römischen Göttin der Liebe, der Schönheit und des erotischen Begehrens sieht der Künstler nicht im Gegensatz zur christlichen Umgebung. Nicht selten hat sich die christliche Kirche des Altertums heidnische Kultstätten einverleibt und in ungebrochener Kontinuität die Stätten der Gottesmutter Maria geweiht. Doch sollte man diese Interpretamente nicht überstrapazieren. Mehr als alle anderen ausgestellten Werke scheinen diese drei Bilder zur Berührung einzuladen, nirgendwo wäre die haptische Begegnung mit ihnen plausibler.
Ganz anders hingegen wirkt die großformatige Arbeit auf der Wand der nördlichen Empore, „Bet Lechem“. Sie besteht aus drei großformatigen schwarzen Bildern, die mit 120 auf 90 Zentimeter exakt das gleiche Maß aufweisen wie das Eingangstor der Geburtskirche in Bethlehem. Dort zeigen erkennbare Umrisse der früheren Mitteltür und ein geborstener Bogen, dass sie bereits von den Kreuzfahrern verkleinert wurde. Zur Türkenzeit wurde sie noch niedriger gemacht, um Plünderer daran zu hindern, mit Karren in das Gotteshaus zu fahren. So muss sich bis auf den heutigen Tag jeder bücken, der diesen heiligen Ort betritt. Oberhalb dieser drei Bilder sind drei kleinere Arbeiten angebracht, die im Gegensatz zu allen anderen mit einer konkaven Wölbung ausgestattet sind und auf deren Oberfläche tiefschwarze Pigmente zu sehen sind. Dadurch wirken sie dunkler, ihr tiefes Schwarz zieht unsere Blicke in Bann. Wie drei Sterne sind sie über den Toren zum Heiligtum positioniert. Ein eigenartiges Weihnachtsbild, das nicht das Ereignis an sich, nicht den Ort des Geschehens, sondern die Haltung thematisiert, mit der man dorthin gelangt.
Mats Bergquists möchte mit seiner Ausstellung „Via Lattea“ einen Raum schaffen, der den Besucherinnen und Besuchern Serenità vermittelt, jenen im Italienischen gemeinte Ruhe und Gelassenheit, den man am ehesten mit Seelenruhe übersetzen könnte. Die Arbeiten mögen sie gefangen nehmen und in jene meditative und kontemplative Stimmung versetzen, mit der er selbst seine Bilder schuf. Und wenn er davon spricht, dass jedes seiner Bilder ein Gebet sei, sagt das zunächst einmal nichts über die Kunstwerke aus, vielmehr drückt sich in diesem Satz etwas von der Kohärenz aus, die Bergquist für das Leben und die Arbeit eines Künstlers einfordert. Insofern gilt für die Malerei von Mats Bergquist das gleiche, was Gunnar Ekelöf in seinem Gedicht ausdrückte: „Alles was wir wünschen, wieder und wieder geküsst.“ Die Materialisierung des Spirituellen kann gelingen, auch wenn wir uns hier auf keinem Fall etwas im Bild Gegenwärtige aneignen müssen. Denn das hieße ja, sich vom Bild küssen zu lassen.
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